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Diplomatische Lösung gesucht

11.02.2014

Reaktionen von Menschen aus Politik und Wirtschaft auf das Schweizer Votum

- von Roland Gerard (11.02.2014) -


KREIS WALDSHUT. Besorgt haben sich Vertreter von Politik und Wirtschaft aus der Hochrheinregion nach dem Schweizer Volksabstimmungs-Ja zur Einwanderungsbegrenzung geäußert. Welche negativen Folgen für den Kreis Waldshut drohen, ist derzeit noch nicht absehbar.
"Das ist keine gute Nachricht", kommentierte Landrat Tilman Bollacher. Das Votum rühre an einen Grundpfeiler europäischer Integration, die Personenfreizügigkeit. Denn die EU werde Einschränkungen auf diesem Gebiet nicht akzeptieren. Beharre die Schweiz darauf, könnte sogar eine Kündigung der bilateralen Verträge die Folge sein. Die Schweiz riskiere "einen handfesten Streit mit der Europäischen Union."

Während bestehende Arbeitsverträge von Grenzgängern unberührt bleiben, sind jedoch zukünftig Restriktionen bei der Vergabe von Arbeitsgenehmigungen abzusehen. Bislang liegt die Arbeitslosenquote im Kreis Waldshut dank des hohen Grenzgängeranteils unter dem Landes- und Bundesdurchschnitt. CDU-Bundestagsabgeordneter Thomas Dörflinger will negative Folgen für den Arbeitsmarkt nicht ausschließen, äußert sich aber zunächst noch zurückhaltend. Es gelte abzuwarten, wie nun die EU-Kommission mit dem Schweizer Votum umgeht. Das betrifft auch mögliche Nachteile für deutsche Betriebe, die dank der vor 22 Jahren geschlossenen bilateralen Verträge im Nachbarland Aufträge ausführen können. Klar ist für den Politiker schon jetzt: "Auf dem Weg, den die Schweiz seit 1992 eingeschlagen hatte, ist die Abstimmung ein Rückschritt." Eventuell würde auch die demografische Entwicklung im Kreisgebiet beeinflusst, wenn der Schweizer Arbeitsmarkt für Zuzügler an Attraktivität verliere. Mit 55,2 Prozent Ja-Stimmen für die Restriktionen fiel das Ergebnis in der direkten Schweizer Nachbarschaft besonders klar aus. CDU-Bundestagsabgeordnete Gabriele Schmidt: "Insbesondere das Abstimmungsergebnis im Aargau bedauere ich sehr und es befremdet mich. Ich kann nur hoffen, dass es keine Auswirkungen auf die Zahl der in der Schweiz beschäftigten Grenzgänger hat."

Rita Schwarzelühr-Sutter, SPD-Bundestagsabgeordnete und Staatssekretärin, meinte zu der Volksabstimmung: "Das Ergebnis spiegelt auch das wachsende Unbehagen und diffuse Ängste der Menschen wider." Die Politikerin: "Das Nein zur Personenfreizügigkeit nehme ich mit Bedauern zur Kenntnis. Die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU entlastet nicht nur einseitig den europäischen Arbeitsmarkt, sondern ermöglicht es der Schweizer Wirtschaft erfolgreich zu sein."

Das Schweizer Parlament habe noch die Möglichkeit, die Umsetzung dieser gegen die bilateralen Verträge gerichteten Verträge der EU zu stoppen. Kämen tatsächlich die Einschränkungen der Personenfreizügigkeit zum Tragen, würden damit auch alle anderen bilateralen Verträge hinfällig. Claudius Marx, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee, meint in einer Stellungnahme: "Der 9. Februar 2014 war kein guter Tag, nicht für die Schweiz, nicht für unsere Region und nicht für die EU."

Die Personenfreizügigkeit sei Teil des bilateralen Vertragspakets, mit dem die Schweiz auf sieben Feldern – darunter Landverkehr, Luftverkehr, Landwirtschaft und Forschung – Zugang zum europäischen Binnenmarkt mit seinen über 500 Millionen Konsumenten erlangt habe. Auf der Basis dieser und der nachfolgenden Verträge habe sich die Wirtschaft der Schweiz außerordentlich positiv entwickelt. Marx weiter: "Die Verträge sind jedoch mit der sogenannten Guillotine-Klausel verbunden, die man besser ein "Rosinenpickverbot' nennen würde: Es ist ausdrücklich ausgeschlossen, einzelne Verträge aufzukündigen, um an anderen, für günstig erachteten festzuhalten.

Das jetzt vorliegende Abstimmungsergebnis könnte als implizite Aufkündigung des Freizügigkeitsabkommens gewertet werden." Der Schweizer Bundesrat müsse nun nach einer diplomatischen Lösung suchen. Der IHK-Hauptgeschäftsführer zeigt sich vorsichtig optimistisch: "Wir sind durchaus zuversichtlich, dass dies gelingen kann, wenn auch im Moment noch niemand zu sagen vermag, wie eine solche Lösung aussehen sollte."

Das Atomkraftwerk Leibstadt ist nicht nur eines von vielen Unternehmen, das deutsche Grenzgänger beschäftigt. Auch an der Spitze steht ein Beschäftigter aus der Bundesrepublik. Seit Januar 2010 leitet der in Villingen geborene Ingenieur Andreas Pfeiffer das Werk. Nach Angaben der Kernkraftwerk Leibstadt AG (KKL) sind 24 Prozent der rund 540 Beschäftigten Grenzgänger. Hinzu kommen elf Prozent EU-Bürger mit Niederlassung oder Jahresaufenthalt in der Schweiz. Daraus ergibt sich ein Beschäftigtenanteil von EU-Bürgern in Höhe von 35 Prozent. Die Beschäftigten seien in allen Bereichen des Werks vertreten. Zu möglichen Folgen für die Personalausstattung aufgrund der geplanten Restriktionen sei zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Aussage möglich, so die KKL AG.

Die Zahl der Grenzgänger liegt im Kreis Waldshut bei fast 16 000. Das sind fast 25 Prozent aller abhängig Beschäftigten.

Vorschaubild: dpa/BZ


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